Interview mit Zava David Meinertz Einschätzung zum Markt für Videosprechstunden
- Gesetzliche Hürden waren größte Herausforderung
- Es müssen noch viele Standards etabliert werden
- 30 – 40 Prozent der Arztbesuche künftig über Videosprechstunden
Entstehung, Entwicklung und Ausblick
Mit der Zulassung der Fernbehandlung 2018 wurde der Grundstein für Videosprechstunden in Deutschland gelegt. Was waren die größten Schwierigkeiten und was sind derzeit die größten Hindernisse der Videosprechstunde?
Die Entscheidung auf dem 121. Deutschen Ärztetag 2018 hat den Durchbruch gebracht: Das geltende berufsrechtliche Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung wurde gelockert.
Wir waren uns immer sicher, dass es dazu kommen wird und haben uns gegen alle Widerstände auch davor jahrelang für die Telemedizin stark gemacht und Patientinnen und Patienten aus Deutschland sicher aus der Ferne beraten und behandelt. Dadurch haben wir viel Erfahrung gesammelt und sind über die Jahre zum Marktführer in Deutschland geworden.
Vor allem gesetzliche Hürden haben Telemedizin-Patienten in der Vergangenheit das Leben schwer gemacht. Noch 2016 wurde es Vor-Ort-Apotheken verboten telemedizinisch
ausgestellte Rezepte einzulösen. Erst 2019 konnten Vor-Ort-Apotheken in Deutschland wieder Online-Rezepte bedienen. 2020 ist alles längst zur Normalität geworden. Zava kooperiert zum Beispiel mit dem Apothekendienstleister Noventi, über deren callmyapo-System deutschlandweit über 5.000 Apotheken angebunden sind.
Aktuell stehen wir in Deutschland vor der Herausforderung, viele einzelne digitale Gesundheitsanwendungen und telemedizinischen Leistungen zu einer zeitgemäßen und ganzheitlichen Patientenversorgung zusammenzuführen. Die Videosprechstunde ist zum Beispiel eine echte Entlastung für Patienten und das Gesundheitssystem, für sich stehend deckt sie aber nur einen kleinen Teil des Patientenpfads ab. Vernetzung ist die Zukunft, hier ist auch die Politik weiterhin gefragt.
Was fehlt, um eine Behandlung vollständig remote durchzuführen?
(e-Rezept, e-Krankschreibung, Apps auf Rezept, andere)
Ob eine Behandlung vollständig aus der Ferne durchgeführt werden kann, hängt nicht nur von der Technik, sondern vor allem von der Erkrankung ab. Vieles, wofür ansonsten der Hausarzt aufgesucht würde, decken wir bereits problemlos und seit Jahren vollständig im digitalen Raum für unsere Patienten ab.
Nachholbedarf besteht vor allem bei Systemwechseln: Ein nahtloser Übergang zwischen der analogen und der digitalen Gesundheitswelt ist im Interesse des Patientenwohls und muss in beide Richtungen ohne Hürden ablaufen. Dafür müssen noch viele Standards etabliert werden.
Sind Sie auch in weiteren Ländern aktiv? Wenn ja, welches Land ist Ihrer Meinung nach Vorreiter und warum?
Ja, wir sind neben Deutschland noch in Großbritannien, Irland und Frankreich aktiv. Während Deutschland sich Gedanken über die Digitalisierung der Gesundheitsdaten macht, sind eRezepte und Videosprechstunden in anderen Ländern längst Alltag. Kürzlich haben wir einen interaktiven Telemedizin-Report erstellt: Estland nimmt im europäischen Vergleich eine echte Vorreiterrolle ein. Zusammen mit einer einheitlichen Strategie wurde auch die benötigte Infrastruktur angelegt und standardmäßige Nutzung implementiert. Zum Beispiel beim eRezept.
(vgl.: https://www.zavamed.com/de/telemedizin-report-deutschland.html#europa)
Welche Partner haben Sie bei der Einführung von Videosprechstunden unterstützt? (Versicherer, Ärzte, Politik, andere)
Wir haben ein breites Netzwerk von Ärzten, das bei der Entwicklung unserer Videosprechstunde fachlich maßgeblich beteiligt war. Unter anderem Dr Kolbeck aus Hamburg, mit seiner eigenen Praxis ist er ein echter Pionier bei der digitalen Patientenbetreuung. Auch der Apothekendienstleister Noventi hat mit seiner App CallmyApo die patientengerechte, flächendeckende telemedizinische Versorgung durch Zava möglich gemacht.
Am wichtigsten waren jedoch unser eigenes Team. Zava beschäftigt rund 200 Mitarbeiter aus vielen Disziplinen. Zum Beispiel Ärzte, Technologie, Marketing, Patientenservice, Pharmazie oder HR.
Unter welchen Voraussetzungen werden die Kosten von den Krankenkassen übernommen?
Patienten erhalten im Anschluss an ihr Arztgespräch eine Rechnung gemäß der für Ärzte verbindlichen Gebührenordnung in Deutschland (GOÄ). Privatversicherungen erstatten diese Rechnungen. Gesetzlich Versicherte müssen die Kosten bislang noch selbst tragen. Die Kosten starten bei 20,10 €. Die genaue Höhe hängt von Umfang oder auch Uhrzeit der Behandlung ab und werden transparent in der App beschrieben. Unser Schritt in den GKV-Markt steht unmittelbar bevor.
Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung in Deutschland ein und wo werden wir 2025 stehen?
Im Durchschnitt geht jeder Deutsche zehn Mal im Jahr zum Arzt. Mittelfristig gehe ich davon aus, dass drei oder vier dieser Vor-Ort-Besuche telemedizinisch stattfinden werden.
Das ist auch nötig, um die Qualität unseres Gesundheitssystems, für die wir international beneidet werden, langfristig aufrechtzuerhalten.
Ein Effekt wird sein, dass der Arztbesuch eine andere Qualität bekommt. Statt nur wenige Minuten mit dem Arzt zu verbringen, ist mehr Zeit für eine ganzheitliche Betrachtung des Patienten und die besonders schweren Fälle. Ich gehe davon aus, dass sich das in fünf Jahren auch in der Gebührenordnung (GoÄ) und dem EBM (einheitlicher Bewertungsmaßstab) wiederspiegeln wird.
Technik
Welche technischen Voraussetzungen müssen Ärzte und Patienten zur Wahrnehmung der Videosprechstunde mitbringen?
Im Prinzip ist nur ein Mobiltelefon, Tablet oder Laptop mit Internetverbindung nötig. Dort muss noch die entsprechende App installiert werden, die kostenlos ist. Wenn diese Schritte ein Bekannter oder Verwandter übernimmt und online einen Termin bucht, reicht bei Zava sogar ein Telefonanschluss. Der Arzt ruft dann zur gewünschten Zeit den Patienten unter der angegebenen Nummer an. Ein zeitnahes Arztgespräch, daran wird es bei Zava nicht scheitern.
Wie viele Ärzte haben Sie in Ihrem Netzwerk?
Aktuell 25 Ärztinnen und Ärzte und stark wachsend.
Soll das System noch ausgebaut werden und wenn ja, wie?
Zava baut aktuell ihr bundesweites Ärzte-Netzwerk aus und bietet niedergelassenen Fachärzten die Möglichkeit zur freien Mitarbeit. Zava setzt dabei auf ein flexibles Konzept: Die Mediziner entscheiden selbst, wann sie Zeitfenster für Sprechstunden anbieten können und möchten. Infrastruktur und Einführung in die telemedizinischen Systeme werden von Zava übernommen.
Zahlen und Fakten
Seit wann besteht die Health Bridge Limited bzw. seit wann sind Sie mit Zava (ehem. DrEd) auf dem deutschen Markt aktiv?
Das Unternehmen wurde 2010 in London gegründet, seit 2011 sind wir auf dem deutschen Markt aktiv.
Wie haben sich Ihre Nutzerzahlen seitdem entwickelt?
Zava ist der führende Anbieter telemedizinischer Leistungen für Patienten in Deutschland und Europa. Seit Gründung wurden über vier Millionen Beratungen und Behandlungen für Patienten aus Deutschland, Großbritannien, Irland und Frankreich durchgeführt. Wir verzeichnen seit Jahren ein stetes Wachstum und haben 2014 die Gewinnzone mit unserem Unternehmen erreicht. Die Corona-Pandemie hat dann im Frühjahr 2020 für einen sprunghaften Anstieg gesorgt. Europaweit um 60 Prozent, was bei uns mehreren tausend Beratungen und Behandlungen am Tag entspricht.
Wie zufrieden sind die Nutzer?
Über das Verbraucher-Bewertungsportal Trustpilot erhalten wir sehr viele Rückmeldungen (knappe 6000 bisher nur für Deutschland) unserer Patienten zu unseren Sprechstunden. Hier schneidet Zava exzellent mit 4,8 von 5 möglichen Punkten ab.
Welches Feedback bekommen Sie von den angeschlossenen Ärzten?
Die Ärzte reagieren sehr positiv. Gerade während des Lockdowns war die Situation für viele niedergelassene Ärzte nicht leicht. Die Wartezimmer waren vielerorts leer, weil sich Patienten nicht mehr hinein trauten. Da hat sich für die digital-affinen Mediziner die Videosprechstunde schnell als gute Alternative etabliert, medizinisch und wirtschaftlich. Wer den Weg nicht so schnell gegangen ist, merkt jetzt, dass er sich für die Zukunft zwingend auch ein digitales Standbein aufbauen muss.
Welche Krankheiten werden am meisten über Videosprechstunden behandelt?
Die Videosprechstunde kommt vor allem für gesundheitliche Probleme, die sich gut im Gespräch erörtern lassen, infrage. Zum Beispiel Magen-Darm-Erkrankungen, grippale Infekte und viele andere Symptome, mit denen Patienten zum Hausarzt gehen würden. Eine Reihe körperliche Untersuchungen kann der Arzt per Video-Sprechstunde gut durchführen, zum Beispiel den Husten anhören oder die Haut begutachten. Auch für Patienten, die bei sich eine Corona-Infektion vermuten, kann die Videosprechstunde über die Zava-App erste Anlaufstelle sein.
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David Meinertz
Gründer und CEO von Zava
David Meinertz ist als Gründer und CEO von Zava seit 2011 Vorreiter in der Telemedizin. Denn der Hamburger Jurist und Wirtschaftswissenschaftler machte aus einem Zwei-Mann-Team innerhalb weniger Jahre eines der führenden Telemedizin-Unternehmen Europas mit mehr als 200 Mitarbeitern. Seit der Gründung verbucht Zava mehr als 4,2 Millionen Beratungen und Behandlungen in Deutschland, Frankreich und England.